Traumafolgestörungen erkennen und Fehler vermeiden

Trauma erkennen


Vortrag bei der  52. Medizinischen Woche Baden-Baden, am 31.10.2018: Positive Psychotherapie bei psychosomatischen Störungen


Wie entsteht psychische Krankheit?

 Psychodynamisches Verständnis der Symptomentstehung


Psychodynamisches Modell der Symptombildung

Abweichende Zusammenhänge bei der Genese von Traumafolgestörungen

Genese von Traumafolgestörungen



Psychische Struktur



Diese zum großen Teil schon in der Kindheit unbewusst erworbenen Fähigkeiten können durch Traumaerfahrungen teilweise wieder verloren gehen

Spezielle Diagnostik bei Traumafolgestörungen

(sollte Traumatherapeuten vorbehalten bleiben)

  • Ressourcen- und Traumabelastungsanamnese
          
           Fragebögen
  • Das „Impact of Event Scale“ (IES und IES-R)[1] erfasst die drei Symptombereiche einer PTBS: Hyperarousal, Intrusionen und Vermeidung
  • Essener Traumainventar[2] zur Selbsteinschätzung oder als Befragungsversion erfasst akute Belastungsreaktionen und PTBS
  • Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS)[3]: Screening-Instrument mit Selbsteinschätzungsskalen, welches das Vorliegen und das Ausmaß verschiedener dissoziativer Phänomene erfasst, einschließlich Depersonalisation und Derealisation.


 

Spezielle Traumatherapie

Ablauf der Trauma-Therapie 
  • Stabilisierungsphase 
  • Traumakonfrontation 
  • Integration

Beziehungsgestaltung

  • Klares Arbeitsbündnis und klare Orientierung im Hier und Jetzt. Der Prozess muss für den Patienten immer transparent sein.
  • Zu Therapiebeginn ist Patient oft in der Rolle des "Opfers", Therapeut des "Retters".
  • später Dynamik wechselnder Rollen, z.B. Therapeut in Täter- oder Opferposition.
  • Übertragungsphänomene sind möglichst frühzeitig zu benennen und aufzulösen.
  • Raus aus Dreieck, unabhängiger Beobachter und Begleiter werden ("parteiliche Abstinenz")

  Sandwich-Prinzip 

  • Vermitteln eines Gefühls von Sicherheit und Stabilität, z. B. durch imaginative Übung der Etablierung eines Tresors oder sicheren inneren Ortes.
  • Kontrollierter Wechsel zwischen Erleben von Sicherheit und Unsicherheit beim Erzählen. Betrachtung traumatischen Materials wird ins Erleben eigener Ressourcen "eingepackt".
  • Aufklärung über die Traumagenese
  • neurobiologischen Wurzeln und Mechanismen der Symptomentstehung
  • Funktion von dissoziativen Symptomen ("normal" nach einer Traumatisierung, "Überlebensmechanismus")
  • Frühes Ansprechen von Scham und Schuld
  • bei Komplextraumatisierung Versinken im Strudel der Erinnerung und Problemtrance vermeiden           

  Stabilisierungsphase

  • Ziel: Bessere Kontrolle über Trigger, emotionale Überflutung und dissoziative Symptomatik
  • V. a. zu Beginn ist eine klare Strukturierung des Prozesses notwendig
  • Imaginations- und Stabilisierungsübungen, um das "Window of Tolerance" zu erweitern
  • Herstellen äußerer Sicherheit. Der Therapeut kann sich dabei in der Rolle eines Sozialarbeiters wiederfinden
  • Stabilisierungsphase so lange bis Betrachtung des Traumas im "Window of Tolerance" möglich ist.      

  Traumakonfrontation (Wiedererinnerung)

  • EMDR (Eye Movement Desensitization) und die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT) von Reddemann
  • Ziel: erneute kognitive Betrachtung, emotionales und körperliches Durcherleben sowie Verarbeitung des erlebten Traumas aus der Position eines sicheren, gut geankerten Hier und Jetzt ohne erneute (emotionale) Überflutung wiederlebt werden.
  • Beachtung aller "Kanäle": Sinneseindrücke, (negative) Selbstbewertungen, belastende Emotionen, unwillkürliche körperliche Reaktionen und Verspannungen

Integration (Nachbearbeitungsprozess)

  • Betrauern, verabschieden und spüren, inwieweit traumatische Erlebnisse das Leben verändert haben.
  • Ereignisse bekommen einen Stellenwert im Lebenslauf und werden nun akzeptiert.
  • Gefühl posttraumatischer Reifung mit erweiterter Weltsicht durch das Überleben des Traumas, positive Veränderung von Prioritäten im Leben, Gelassenheit und Ruhe

 

Vorgehen bei akut traumatisierten Patienten

  • Symptome wie innere Unruhe, Schlafstörungen und Reizbarkeit
  • Häufig Spontanremission abhängig von Persönlichkeitsstruktur, Resilienz und bestehenden Vulnerabilitäten 
  • Aufklärung über neurobiologische Entstehung von Traumatisierungsstörungen
  • Traumafolgestörung als massive, aber angemessene Stressreaktion
  • Ressourcen des Patienten erkunden und ihre Nutzung ermutigen
  • Imaginative Übungen
  • Therapeutische Unterstützung reduziert Risiko einer PTBS, schnelle Traumakonfrontation kann einer Chronifizierung vorbeugen

    

Vorgehen bei komplex traumatisierten Patienten mit Täterintrojekten

  • Besonders behutsames Vorgehen mit Beachtung von Übertragung und Gegenübertragung.
  • Oft strukturelle Störung im Sinne einer tertiären Dissoziation. 
  • Daher ist eine Diagnostik der Persönlichkeitsstruktur und das Auffinden und Benennen von sog. "Egostates" notwendig. Dissoziierte Teile der Persönlichkeit, die aus der traumatischen Erfahrung entstanden sind, können Opfer-, Wächter- und Kritikerfunktionen innerhalb der Gesamtpersönlichkeit übernehmen. Ohne Würdigung und Anerkennung dieser Teile ist Therapie oft zum Scheitern verurteilt.
  • Durch Täterintrojekte passen sich Opfer an das negative Bild an, das der Täter von ihnen hatte. Dadurch kann sich das Opfer mit dem Täter verbunden und weniger ausgeliefert und verlassen fühlen. Typisches Introjekt: "Ich verdiene es nicht anders, als missbraucht zu werden."
  • Für dasTäterintrojekt ist eine Psychotherapie oft zunächst eine Bedrohung, die boykottiert werden muss. Nach ausreichender Stabilisierung können die Erfahrungen, die zur Introjektbildung geführt haben, rekonstruiert und bewusst gemacht werden. Ziel ist, alle dissoziierten Anteile des Patienten mit ins Boot der Psychotherapie zu bekommen.

Einige wesentliche Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Psychotherapieforschung 

Kein anderer Faktor korreliert stärker mit einem positiven Therapieergebnis als die Offenheit, das Engagement und die Mitwirkung des Patienten im Therapieprozess.

Folglich muss das Vertrauen der Patienten in ihr eigenes Selbstheilungspotenzial gestärkt werden. Patienten müssen ermutigt werden, ihre Ressourcen auszuschöpfen. Günstige Veränderungen sind, wenn immer möglich, dem Patienten und seinen Fähigkeiten sowie seinen sozialen Un­terstützungssystemen und deren Qualitäten zuzuschreiben.

Offensichtlich sind eine therapeutische Haltung und solche Interventionen besonders hilfreich, die Patienten ermutigen, über Dinge zu sprechen, über die man in Alltag nicht spricht (Unakzeptables, Abgewehrtes, Peinliches, negative Gefühle), und sich selbst und die Beziehung zum Therapeuten zu erforschen.   

Je früher Therapeuten der Therapiebeziehung volle Beachtung schenken, desto eher wird sich ein positives Bündnis über den gesamten Therapieprozess entwickeln.
Die therapeutischen Haltungen, Strategien und Techniken,
die sich positiv auf die Therapiebeziehung und auf die Bewältigung von Brüchen im Therapiebündnis auswirken, entstammen unterschiedlichen Therapierichtungen. Daher spricht vieles dafür, dass die effektivsten Therapeuten jene sind, welche die verschiedenen Aspekte von einsichtsorientierten, erlebnisorientierten, humanistischen und kognitiv-behavioralen Therapiemodellen integrieren.

Traumafolgestörung erkennen

Bei folgenden Symptomen ist an Traumatisierung als ein möglicher pathogenetischer Faktor zu denken:
  • Dissoziative Störungen
  • Andere körperliche Symptome wie plötzlich einschießende Schmerzen, starke Missempfindungen (z.B. Kloßgefühl im Hals) oder auch heftige Allergien
  • Massive Erinnerungslücken oder
  • Intrusive Erinnerungsfragmente, die wie aus dem Nichts auftauchen (Flash-Backs)
  • Bedrohliche innere Bilder (keine Halluzinationen)
  • Ständige Übererregung
  • Erregung scheinbar durch “nichts” (Trigger)
  • Zutiefst erschüttertes Selbsterleben und Weltverständnis (sich unsicher fühlen in der Welt, kein Vertrauen: da kommt nichts Gutes aus der Welt), tief sitzender Pessimismus bei äußerer Angepasstheit

Dos and Don’ts für Nicht-Traumatherapeuten

  • Bei starken psychosomatischen Symptomen an Traumafolgestörung denken
  • Ggf. nachfragen: Ist in Ihrer Lebensgeschichte etwas Schlimmes passiert?
  • Das vom Patienten Berichtete nicht deuten, z.B.: Sie sind offensichtlich missbraucht worden.
  • Nicht in die Erinnerung des Traumas gehen, Gefahr einer Dekompensation
  • Defokussieren: Nach anderen, möglichst nicht belasteten Lebensbereichen fragen.
  • Stützenden Beziehungsangebot
  • „Wohlfühlprogramm“: Alles nutzen, was geeignet ist, den Patienten zu stabilisieren, z.B. Sport alleine oder in der Gruppe, Sauna, Massagen, Atemübungen, Singen usw.
  • Überweisung zum Traumatherapeuten

Das in diesem Blogbeitrag vermittelte traumatherapeutische Wissen verdanke ich meinem Kollegen Thomas Gruyters aus Kassel.




           [1] Maercker A, Schützwohl M, 1998: "Erfassung von psychischen Belastungssfolgen“.
           [2] Tagay S, Erim Y, Stoelk B, Möllering A, Mewes R, Senf W, 2007: "Das Essener Trauma-Inventar (ETI) – Ein Screeninginstrument zur Identifikation traumatischer Ereignisse und posttraumatischer Störungen".
           [3] Spitzer C, Stieglitz RD, Freyberger HJ, 2004: "Fragebogen zu Dissoziativen Symptomen (FDS). Testmanual“.

           [4] Kolb DL et al., 1985: "Patient and therapy process variables relating to dropout and change in psychotherapy”, Psychotherapy: Theory, Research and Practice, 22. Garfield SL: "Research on client variables in psychotherapy” und Orlinsky DE, Grawe K, Parks BK: "Process and outcome in psychotherapy – Noch einmal". Die letzten beiden Beiträge erschienen 1994 in Bergin AE, Garfield SL, (Eds.): "Handbook of psychotherapy and behavioral change”, 4th ed., New York: Wiley.

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